von Heiko Koch
Die Zeiten ändern sich. Früheren Generation war es noch vergönnt, Zeitzeug*innen aus der Ära des Nationalsozialismus und Faschismus kennenzulernen. Sie konnten aus erster Hand erfahren, wie Unrecht und Habgier, Ignoranz und Rassismus als Regime an die Macht kamen und mit Terror und Willkür herrschten. Wie diese Regime Europa in einem weltumfassenden Krieg trieben und verwüsteten. Aber auch wie Menschen gegen diese Regime unter vielen Entbehrungen, Ängsten und Nöten aufstanden, kämpften und siegten. Solche einzigartigen und eindrücklichen Begegnungen mit Zeitzeug*innen können junge Menschen heute kaum noch erleben. Die diesen Treffen innewohnende Kraft der direkten Begegnung und konkreten Erfahrung gelebter Geschichte, die Authentizität der Erzählenden und die Intensität des Berichteten werden den kommenden Generationen nicht zur Verfügung stehen.
So bleibt es unsere Aufgabe, die vielen unterschiedlichen Erzählungen von Unterdrückung, Verfolgung, Vertreibung und Exil, von Gefängnis, Konzentrationslager, Folter und Tod, aber auch von Mut, Vertrauen und Hoffnung, von Widerstand, Solidarität und Kampfgeist lebendig zu halten und weiterzugeben. Diese Narrative weiterzugeben und zu tradieren, um aus der Geschichte zu lernen, derartige Regime im Ansatz zu verhindern und Menschen Mut und Vertrauen zuzusprechen, ist eine der großen Aufgaben und Herausforderungen für die antifaschistischen Organisationen in denen wir aktiv sind.
Um so erfreulicher ist es, dass sich zur Pflege der antifaschistischen Narrative immer mehr kulturelle Felder öffnen und sich Künstler*innen finden, die ihr Talent und Können im Sinne des Antifaschismus einsetzen. So in der Welt der Graffitis und Street Art, aber auch der Comics und der Graphic Novels. In den letzten Jahren haben immer mehr Autor*innen und Zeichner*innen aus der Welt des grafischen Erzählens die unterschiedlichen Themenfelder und Perspektiven aus dem Bereich des Antifaschismus für sich entdeckt und auf hohen Niveau bearbeitet und umgesetzt.
Hier möchte ich zwei neuere Werke aus Frankreich vorstellen: Die Graphic Novels „Der Krieg von Catherine“ von Julia Billet und Claire Fauvel und „Die Insel der Gerechten“ von Stèphane Platzsek und Sébastien Portret (Espè).
Der Krieg von Catherine
Hardcover, 168 Seiten, farbig – ISBN: 9783903290501
„Der Krieg von Catherine“ erzählt von der Odyssee der Halbwüchsigen Catharine im besetzten Frankreich zur Zeit des 2. Weltkriegs. Catharine befindet sich auf der Flucht vor der GeStaPo und der französischen Polizei, die im besetzten Frankreich im steigenden Maße nach Jüd*innen fahnden, um sie in die deutschen Vernichtungslager zu deportieren. Zunächst hält sich die junge Jüdin in dem Maison d’enfants de Sèvres, versteckt. In diesem Waisenhaus im Pariser Vorort Sevres sind neben ihr auch noch zahlreiche andere jüdische Kinder untergebracht, deren Eltern inhaftiert und deportiert wurden. In dem Waisenhaus widmen sich Leitung und Lehrer*innen einer modernen und liberalen Pädagogik und die Kinder finden Schutz, werden gefördert und blühen auf. Catharine entdeckt ihre Leidenschaft für die Fotografie und kommt in Besitz einer Leica-Kamera, mit der sie in den kommenden Jahren ihre Flucht dokumentieren wird.
Trotz der schützenden Umständen und beginnender Freundschaften leiden die Kinder Not. Ängste um ihre Eltern und Geschwister quälen sie, genauso wie die alltägliche Angst um Denunziation und Verhaftung. Als eine Razzia ansteht werden sie auseinandergerissen und für Catherine beginnt eine Reise im Untergrund, bei der sie Solidarität aber auch Anfeindung von unterschiedlichster Seite erfährt. Zunächst taucht sie in einem katholischen Internat unter, dann bei einer Bauernfamilie, um schließlich in einem Waisenhaus in den Pyrenäen Zuflucht zu finden. Als auch dieser Ort nicht mehr sicher ist, findet sie bei Partisaninnen der Resistance Unterschlupf. Sie bleibt bei der Resistance bis sie nach Paris zurückkehrt, das gerade von den Alliierten befreit wird. Dort sucht sie nach ihrer Familie und Freundinnen und kehrt an den Ursprung ihrer Flucht zurück, dem Maison d’enfants de Sèvres. Sie beginnt dort sich um traumatisierte Kriegskinder zu kümmern und macht ihre erste Profiausstellung mit den Fotografien ihres klandestinen Lebens auf der Flucht. Aber in Paris hält es sie nicht lange. Sie sucht nach dem Mann, den sie auf der Flucht kennen und lieben lernte und nach all den Anderen, denen sie die Fotografien verdankt.
Der Krieg von Catherine“ ist eine Graphic-Novel, die inhaltlich wie zeichnerisch von zarten und weichen Tönen getragen wird. Es geht um Bindung, Nähe, Vertrauen und Hoffnung in bedrohlichen und schweren Zeiten. Und so zärtlich wie die Geschichte von der Autorin Julia Billet erzählt wird, so schmiegen sich die Aquarellzeichnungen der lllustratorin und Comiczeichnerin Claire Fauvel den Figuren der Geschichte an. Die Geschichte ist fiktiv, folgt aber in ihrem Kern den Erinnerungen der Mutter von Julia Billet, Tamo Cohen.
Cohen. Tamo Cohen wurde als jüdisches Kind durch das OSE-Netzwerk innerhalb Frankreichs versteckt und überlebte unter dem Namen France Cohen die Shoah. Ein kleines historisches Dossier von Julia Billet mit zahlreichen Fotografien rundet gekonnt die Graphic Novel ab.
„Der Krieg von Catherine“ erschien im Jahr 2017 im französischen Editions Rue de Sèvres, bevor sie der Wiener Bahoe Verlag im Jahr 2021 in deutscher Übersetzung präsentierte. Es lohnt sich diese Novel kennen zu lernen und sie an die jüngere Generation weiterzureichen.
Die Insel der Gerechten – Korsika, Sommer 1942
Hardcover, 88 Seiten, farbig – ISBN: 9783903290570
Die Graphic Novel des Autoren Stéphane Piatzszek und dem Zeichner Sébastien Portret (Espè) spielt ebenfalls in dem von der Deutschen Wehrmacht besetzten Frankreich. Besser gesagt auf der Mittelmeerinsel Korsika. Seit dem April 1942 ist Pierre Laval Ministerpräsident der Vichy-Regierung und intensiviert die Verfolgung und Deportation der Jüd*innen in die deutschen Vernichtungslager. Auf der Insel Korsika entbrennt unter den Beamten der Regierung und der Bevölkerung ein stiller bis offener Kampf um die Solidarität zu den fliehenden Jüd*innen und einer generellen Haltung zum Vichy-Regime.
In diesen Hexenkessel gerät Suzanne Cohen. In der Nacht ihrer Flucht aus Marseille wurde die junge jüdische Mutter von einer Razzia der französischen Polizei überrascht, von ihrem Mann Henri getrennt und es gelingt ihr allein mit ihrem Sohn Sascha die Flucht auf einem Fischerkutter Richtung Korsika. Die Insel erreichen die Beiden aber nur getrennt. Susanne springt, um ihren Sohn zu retten, ins Wasser als ein Polizeiboot sich nähert und wird verhaftet. Ihr Sohn kann von dem Fischer in ein sicheres Versteck gebracht werden. Auch Susanne gelingt mit Hilfe von sich bildenden Widerstandszellen die Flucht aus der Haft und sie landet bei ihrem Sohn. Zusammen mit anderen jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland werden sie von einem Pfarrer und Dorfbewohner*innen versteckt. Zwischen dem humanistischen Präfekten und dem pro-faschistischen Polizeikommissar beginnt ein Machtkampf um alle Flüchtlinge auf der Insel und ein Katz-und-Maus-Spiel um das Leben von Suzanne und Sascha. Die Polizei nutzt bei ihrem Vorgehen jede Art übler Tricks, foltert, mordet, interniert und deportiert. Die widerständige Bevölkerung hingegen exekutiert Denunzianten, ermordet den Polizeikommissar und beginnt sich für einen Befreiungskampf aufzustellen. Als einen seiner letzten offiziellen Akte gelingt es dem Präfekten eine große Zahl von Jüd*innen zu retten. …
Alles weitere werde ich hier nicht verraten, denn ich möchte sie zum Kauf dieses erstklassig erzählten, hervorragend gezeichneten und von Irène Häflinger kolorierten Graphic Novel ermuntern. Der Zeichner Stéphane Piatzszek hat diese Novel seinen Großeltern Suzanne und Henri Cohen gewidmet. Er erschien im Jahr 2015 in der Edition Glenat und in übersetzter Form im Jahr 2021 bei bahoe books.
Hardcover, 88 Seiten, farbig – ISBN: 9783903290570