Dieser Satz war es, der einem kleinen Jungen half, seine Angst vor Schwäche zu überwinden und ein Selbstbewusstsein zu entwickeln, das ihn auf seinem weiteren Lebensweg stützen sollte. Zu jenem Zeitpunkt jedoch, als Giacomo Notari diese Wort aus dem Mund eines Arztes hörte, wusste er noch nicht, welche Gefahren er später einmal überwinden und welchen Beitrag zu einer demokratischen Gesellschaft er leisten würde. Er ist Teil einer besonderen Generation von Menschen, deren Schicksal zwar hierzulande manchmal erwähnt, deren Verdienst aber auch mehr als siebzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs immer noch nicht hinreichend gewürdigt wird. Es ist die Generation der Partisanen/-innen und ihres Kampfes für die Befreiung Italiens vom Faschismus.
Giacomo Notari kam am Nikolaustag des Jahres 1927 im Dorf Marmoreto in der heutigen
Gemeinde Ventasso zur Welt. Das bäuerliche Leben im Süden der Provinz Reggio Emilia, am Fuß des toskanisch-emilianischen Apenninmassivs, war geprägt durch harte Arbeit, Armut und Enthaltsamkeit, aber auch starken Zusammenhalt. Es sind diese prägenden Facetten, die Notari im ersten Kapitel seiner 2015 im PapyRossa-Verlag erstmals auf Deutsch erschienenen Autobiografie „Ihr Partisanen, nehmt mich mit euch!“ so lebendig beschreibt, dass er die Leser/-innen an der Hand packt und auf eine Zeitreise mitnimmt. Eine Zeitreise in ein Leben, einen Ort und eine Region des ländlichen Italiens, fernab industrialisierter Zentren wie Mailand oder Turin. Jenes sozio-geografische Milieu bildete später das Rückgrat der Resistenza, deren Aktivitäten sich neben den größeren Städten vor allem auf die bergigen Gebiete konzentrierten.
Gefördert wurde dies besonders durch das zunehmende Leid der Zivilbevölkerung ab Herbst 1943. Nach Mussolinis Ausrufung eines von Nazi-Deutschland protegierten Marionettenstaates, der Republik von Salò, deren Territorium sich zunächst bis Rom, später noch bis zur Linie La Spezia-Bologna-Ravenna erstreckte, nahmen die brutalen „Säuberungs- und Durchkämmungsaktionen“ von faschistischer Miliz und deutscher Wehrmacht dramatisch zu. Dies schildert Notari im zweiten Teil des Buches eindrücklich, insbesondere wenn er davon berichtet, wie der Krieg letztlich auch in die Berge kam, und somit auch die Menschen erreichte, die zwar vorher bereits unter Verzicht und Armut litten, deren Leib und Leben jedoch wenigstens nicht noch zusätzlich durch militärische Aktionen bedroht schien. Mit Beginn des Frühjahrs 1944 kam es schließlich dazu, dass sich Giacomo Notari im Alter von erst 16 Jahren gegen den Willen seines Vaters für ein „gefährliches Abenteuer“ entschloss. Er meldete sich in der Provinzzentrale der faschistischen Streitkräfte in Reggio Emilia freiwillig zum Dienst, mit dem Ziel, als Infiltrant mehr und mehr junge Soldaten dazu zu ermutigen, zu den Partisanen überzulaufen. Nach einiger Zeit floh er auch selbst aus der Kaserne und machte sich zurück auf den Weg nach Marmoreto, um dann fortan in der 145. Garibaldi-Brigade für die Befreiung Italiens zu kämpfen. Die letzten Kriegsmonate waren gekennzeichnet von intensiven Gefechten, besonders da die Frontlinie nunmehr genau durch die Berge des emilianischen Apennins verlief. Mit dem durch Partisanenunterstützung ermöglichten, sukzessiven Vorrücken der Alliierten nach Norden, wurde jedoch schließlich das Ende von Krieg und faschistischer Herrschaft eingeleitet: „Endlich frei!“
Im abschließenden Teil seiner Memoiren beschreibt Giacomo Notari dann seine Erfahrungen von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis ins neue Jahrtausend hinein. Anfangs ging es dabei vor allem um den „materiellen und moralischen Wideraufbau Italiens“, dem sich unzählige Men-schen der Wider-standsgeneration in besonderem Maße, und mit einer für heutige Verhältnisse kaum vorstellbaren Intensität und Leidenschaft widmeten. So skizziert er unter anderem die mühevolle Reorganisation des täglichen Lebens wie den Bau der ersten Wasserleitung nach Marmoreto oder die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrung: „Der Krieg war vorüber, dennoch blieb der Hunger.“ Ferner galt es aber auch die kulturellen, politischen und institutionellen Grundlagen eines demokratischen, antifaschistischen und sozialen Italiens zu schaffen. Dabei spielten Neugründungen von Gewerk-schaften und Genossenschaften, wie auch die Partei- und Jugendarbeit eine große Rolle. Notaris Erzählung über die folgenden Jahrzehnte bis zu seiner Wahl zum Provinzvorsitzenden des nationalen Partisanenverbands ANPI im Jahr 2002, illustrieren auf eine beeindruckende Weise das vielfältige gesellschaftliche und politische Engage-ment, welches sein Leben, stellvertretend für das vieler anderer, durchzog. Dabei, so scheint es, empfand er dies trotz schwieriger und mühsamer Momente nie als Last, sondern als Verpflichtung und auch Freude. Dies wird exemplarisch anhand einer Ausführung deutlich, in der er auf seine Zeit als Bürgermeister in den 1970er Jahren zurückblickt: „Am befriedigendsten ist die Arbeit eines Volksvertreters, wenn er sich mit Erfolg an den realen Problemen der Menschen messen kann und ganz besonders dann, wenn sich darüber menschliche Beziehungen zu den schwächsten und bedürftigsten Mitbürgern entwickeln.“
Es sind nicht nur Zitate und Passagen wie diese, die „Ihr Partisanen, nehmt mich mit euch!“ zu einem wertvollen und lesenswerten Buch machen. Ein Buch über einen Zeitzeugen, Widerstands-kämpfer, Politiker und einfachen Bauernsohn; einen Zeitzeugen, Widerstands-kämpfer, Politiker und einfachen Bauernsohn; einen „absoluten Humanisten“ im umfassenden Wortsinn.
Versehen mit einem Prolog des renommierten Italienkenners Gerhard Feldbauer und zahlreichen Abbildungen und Anmerkungen, lässt diese deutsche Erstveröffentlichung der Erinnerungen Giacomo Notaris immer wieder erkennen, dass der Kampf für Gerechtigkeit beschwerlich, aber auch ermutigend ist; egal wie dunkel die Zeiten auch sein mögen.
Dies der Leserschaft zugänglich gemacht zu haben, dafür gebührt den Herausgebern Phillip Becher und Christian Begass ein großer Dank!
Michael Schwan
Giacomo Notari: Ihr Partisanen, nehmt mich mit euch! Ein Bericht aus der Resistenza.
PapyRossa-Verlag 2015, 159 Seiten, 12,00 Euro, ISBN 978-3-89438-583-5
Fonte: Antifascistische Nachrichten