Aufruf zum Streik

Der Aufruf des 1 März 1944 zum Generalstreik wird von den geheimen Agitationskomiteen vom Piemont , der Lombardei und Ligurien gestartet. Die Schaffung solcher Komiteen in den Fabriken war im November 1943 von Mitgliedern der Betriebsräte, die in Folge der Streiks des März 1943 gebildet worden waren, vereinbart worden.

Am 5 März 1943 war die Fiat-Mirafiori bestreikt und 15 Tage lang stillgelegt worden: Die Streikbewegung verbreitete sich in den folgenden Tagen auf Mailand und auf anderen Industriezentren Norditaliens. Die ökonomischen Forderungen, die in der immer kleineren Kaufkraft der Löhnen ihre Begründung hatten – 20% weniger seit Kriegsanfang 1940 – waren so wichtig wie die politischen. Mit diesem Streik eroberte sich die Arbeiterschaft ein Recht, das ihr 18 Jahre lang verwahrt war und stand wieder als  die antifaschistische Kraft, die sie im Grunde immer gewesen war. Sie war aber nicht mehr gezwungen , geheim zu  agieren, da die Betriebsräte wiederhergestellt und später auch von der Republik von Salò bestätigt wurden.     

So war der Arbeiterbewegung möglich, eine Organisation in den Fabriken aufzubauen, die für den Widerstand eine große Bedeutung hatte. Die Streiks von 1943 waren also die Voraussetzung derer vom März 1944, die aber einen anderen, eindeutig politischen Charakter haben Giuseppe Longo, ehemaliger Arbeiter bei der Aeritalia in Turin, maßgeblich beteiligt an beiden Streiks, erzählt: „ Ich erinnere mich daran, dass während der Versammlungen darauf hingewiesen wurde, dass der Streik einen anderen Charakter haben müsse als ein Jahr zuvor. Nun waren die Deutschen da, und das war eine andere Ausgangslage. Ich habe die Auseinendersetzung miterlebt und die Parole hieß, am Arbeitsplatz zu bleiben……Als wir in die Firma kamen, wussten die Deutschen schon, dass wir streiken wollten, und sie erwarteten uns schon…..Als wir ankamen, ist jeder zu seinem Arbeitsplatz gegangen und diese Ordnung, diese Disziplin hat sogar auf den deutschen Kommandanten Eindruck gemacht. Sie waren auf uns angewiesen, denn auch wenn wir manche Sabotageakte durchgeführt hatten, hatten wir doch auch einiges gebaut und repariert…….Die Deutschen waren darauf angewiesen, dass wir arbeiteten, deswegen haben sie auch probiert, uns zu zwingen. Aber um das sicherzustellen, mussten sie zu jedem einzelnen hingehen und ihn zur Arbeit auffordern. Das war sehr schwierig. Die einzelnen, die von deutschen Soldaten mit Maschinengewehren zur Arbeit aufgefordert wurden, haben zwar kurzzeitig gearbeitet, doch schlussendlich brachte das den Deutschen nichts, weil es eben immer nur einzelne waren. Diesen Tag haben wir sehr gut überstanden, und nach einer gewissen Zeit haben die deutschen Soldaten den Befehl erhalten abzuziehen, und wir konnten, wie alle anderen Werke in Turin auch, unseren Streik fortsetzen. Dieser Streik hat zwar keinen großen ökonomischen Druck entfaltet, aber die politische Dimension war unermesslich.“ ( aus „PartisanInnen im Piemont“, querblick, Konstanz 1996, S.80-81 ).

Hier der italienische Originaltext des Aufrufs:  Die Aufforderung zum Streik, die von den Arbeitern massenhaft angenommen wurde, ist das erste Zeichen des allgemeinen Widerstandes.

GEHEIMES AkTIONSKOMITEE
für Piemont, Lombardei und Ligurien

Arbeiter und Arbeiterinnen, Techniker und Angestellte !

Die Stunde des Handelns ist gekommen: ab morgen

GENERALSTREIK IN ALLEN FABRIKEN

im Piemont, der Lombardei, Ligurien und allen wichtigen Industriezentren Italiens.

Arbeiter und Arbeiterinnen, Techniker und Angestellte !

Haltet die Maschinen an, legt die Büroakten weg ! Bleibt aber geschlossen und diszipliniert an euren Arbeitsplätzen, wartet auf die Anweisungen eurer Geheimen Agitationskomitees, bereit zu jeglichem Protest, der nötig werden könnte, bereit, jegliche Gewalt, von wem auch immer, zurückzuweisen.

Schickt euren Chefs Abordnungen der Arbeiter und Arbeiterinnen,Techniker und Angestellten, mit dem Auftrag, eure genauen Forderungen zu unterbreiten:

  1. Nach wirksamen Lohnerhöhungen, den gestiegenen Lebenshaltungskosten angepasst, unter besonderer Berücksichtigung der untersten Löhne;
  2. nach wirksamer Erhöhung der Lebensmittelrationen für alle, unter besonderer Berücksichtigung von Fett,  Milch, Zucker für unsere Kinder;
  3. nach tatsächlicher Zahlung der im Dezember zugesagten Extraleistungen sowie nach Einhaltung aller Zusagen.

Verlangt die Einstellung aller Gewalttätigkeiten durch Nazis und Faschisten gegenüber den Arbeitern und Familien der Patrioten, gegenüber den Verhafteten. Verlangt die Freilassung aller politischen Gefangenen.

Verlangt, dass nicht mehr für den nazi-faschistischen Krieg, sondern für den Bedarf unseres Volkes produziert wird. Dadurch werden die Bombenangriffe verhindert.

Zeigt mit Entschlossenheit euren Willen, keine Transporte eurer Industrie nach Deutschland zuzulassen.

Keinen Mann, keine Maschine nach Deutschland !

Eisenbahner !

Schließt euch dem Kampf der Arbeiter an, macht ihre Forderungen zu euren eigenen! Streikt, unterbrecht die feindlichen Transporte, helft mit beim Sabotagewerk der Patrioten !

Patrioten !

Unterstützt die Arbeiter in ihrem Streik, greift mit doppelter Kühnheit Faschisten und Nazis an, macht vor allem Straßenbahnen, Züge und jegliche Transportmittel  bewegungsunfähig !

Hausfrauen !

Verstärkt den Kampf eurer Männer ! Sie kämpfen um ein bisschen mehr Brot. Geht mit euren Kindern auf die Straße und fordert Nahrungsmittel, Fett, Milch, Zucker, Kleidung !

Arbeiter und Italiener, an Alle !

Keiner entferne sich aus dieser großen Schlacht für Brot und Freiheit der Arbeiter, für das Wohl unseres Vaterlandes ! Jeder helfe mit, wie und soweit er kann.

Laßt euch weder durch Schmeicheleien noch durch Drohungen beugen ! Ihr wisst, was die nazi-faschistischen Versprechen wert sind. Unsere Feinde sind grausam, weil sie Angst haben. Auf den Schlachtfeldern Russlands und Italiens wurden sie geschlagen, jetzt sind sie dabei, Rom aufzugeben, nun werden sie auch angesichts  unserer Geschlossenheit und unseres Kampfgeistes  zurückweichen müssen.

Keiner werde abtrünnig, keiner werde schwach und der Sieg wird unser sein ! Damit wird das italienische Proletariat zu seinem Ruhm einen weiteren gewaltigen Beitrag schreiben können, den es zu seiner und Italiens Befreiung von den verhassten Nazis und Faschisten erbracht hat.

Liana Novelli

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