Interview mit Vincent Dugomier (März 2022)

Heik Koch, leidenschaftlicher Leser und Rezensent von antifaschistischen Comics und Grafic Novels, der aber auch selber Autor von einer neulich erschienen Comic-Geschichte mit dem Titel Druckluft ist, hat für uns ein Exklusivinterview mit Vincent Dugomier geführt, dem berühmten belgischen Comicbuchautor. Dugomier ist unter anderem Autor einer vielfach ausgezeichneten historischen Serie für ein junges Publikum, Les Enfants de la Résistance (2015-2017), in der die Geschichte von drei Kindern erzählt wird, die sich während des Zweiten Weltkriegs der deutschen Besatzung widersetzen.

Heiko Koch: Sehr geehrter Herr Dugomier, bitte stellen Sie sich den deutschen LeserInnen vor.

Vincent Dugomier: Ich heiße Vincent Dugomier. Ich bin 1964 in Brüssel geboren, bin Comicbuchautor und veröffentliche regelmäßig seit Anfang der 90er Jahre. Ich komme aus einer Familie, in der soziales und politisches Engagement wichtig ist. Das kommt gleichermaßen von der Seite meiner Mutter als auch von Seiten meines Vaters. Andererseits hat nur die Familie meiner Mutter eine künstlerische Tradition.

Heiko Koch: Schaut man sich ihre Veröffentlichungen seit den 90er Jahren an, so handelt es sich vor allem um humorvolle Comics für Kinder und Junggebliebene, sowie spannende Mystik- und Thrillerserien für Jugendliche. Bei diesen Einzelbänden und Serien arbeiteten sie oft mit Benoît Ers zusammen. Bitte erzählen sie etwas zu diesen Projekten und ihrer Zusammenarbeit mit Benoît Ers.

Vincent Dugomier: Benoît Ers und ich sind vor allem sehr gute Freunde. Wir können einen ganzen Tag damit verbringen, über alle möglichen Dinge jenseits von Comics zu sprechen. Was uns an unserem Job vor allem begeistert, ist, mit jedem neuen Projekt das Thema zu wechseln und vor allem uns mit ernsten, wichtigen Dingen an ein junges Publikum zu richten. Wir mögen keine matschigen Geschichten. Wir arbeiten immer sehr eng zusammen. Benoît ist an der Entwicklung des Universums beteiligt. Ich gebe meine Meinung zu seinen Layouts ab. Gelegentlich modifiziert er einen Dialog, etc…. Wir haben in unserer Arbeitsweise schon immer eine Art Ping-Pong praktiziert. Jeder hilft dem anderen in schwierigen Zeiten,…

Heiko Koch: Wie kam es, dass Sie sich mit ihrem Kollegen einem so ernsten Thema wie dem 2. Weltkrieg, militärischer Besatzung und dem antifaschistischen Widerstand in Frankreich zuwandten?

Vincent Dugomier: Als ich Benoît 1989 traf, war er gerade dabei, allein ein Projekt zu realisieren, das im Zweiten Weltkrieg spielte. Es war ein komödienhaftes Projekt mit englischen Piloten. Das hat mich überhaupt nicht interessiert und er hat die Idee komplett aufgegeben. Aber ich habe im Laufe der Jahre gesehen, dass Benoît sich sehr für diese Zeit interessierte. Vor ein paar Jahren habe ich ihm angeboten, einen Comicstrip zu machen, der auch während des Zweiten Weltkriegs spielt. Zuerst wollte er nicht. Aber als ich ihm vorschlug, eine Serie zu machen, die in einem Dorf stattfinden würde, mit Kindern, die die Besatzung beobachten würden, wo man über den Alltag spricht, …. Also keine militärische Geschichte, sondern eine, die über das Schicksal von Zivilisten in einem Konflikt sprechen würde. In diesem Moment wunderte er sich, dass er nicht früher selbst auf die Idee gekommen war, den Krieg aus Sicht der Zivilisten zu behandeln. Wir tauschten unsere Familienerinnerungen aus, denn unsere Eltern und Großeltern haben uns oft erzählt, was sie durchgemacht haben. Und dort erzählte mir Benoît, dass sein Großvater im Widerstand war. Und ich sagte ihm, dass auch meine Großmutter im Widerstand aktiv war. Es war sofort klar, dass unsere Helden Widerstandskämpfer sein würden, so wie unsere Großeltern. Benoît war sehr inspiriert vom Aspekt des Wiedererlebens der damaligen Zeit. Ich fühlte mich dem aktivistischen Aspekt verpflichtet, den ich mir dort vorstellen konnte.

Heiko Koch: Ihre Comic-Serie ist primär eine Geschichte für Kinder und Jugendliche. Die drei HeldInnen, Eusèbe, François und Lisa, sind im Alter von 13 Jahren. Und die Geschichte wird aus der Perspektive von François erzählt. Warum sind die AdressatInnen der Serie vor allem Kinder und Jugendliche?

Vincent Dugomier: Wir wollten ein Werk der Weitergabe an die jüngere Generation entwickeln. Die Hoffnung ist natürlich immer, eine Wiederholung der Vergangenheit zu verhindern. Wir wollten schöne Werte weitergeben, wie gegenseitige Hilfe, Kampf gegen Ungerechtigkeit, Brüderlichkeit zwischen den Völkern, Antirassismus, Freundschaft, Hoffnung,…

Heiko Koch: Folgt man Präsentationen im Internet sieht man auch sehr junge Kinder ihren Comic lesen. Ab welchen Alter erreichen Sie Kinder mit ihrem Comic?

Vincent Dugomier: Wir werden von Kindern ab 8 Jahren gelesen. Ich sage immer, es macht nichts, wenn ein Kind nicht alles versteht. Er wird die Dinge während einer wiederholten Lektüre im Alter von 10 Jahren, 14 Jahren neu entdecken. Aber es ist eigentlich ein Comic für die ganze Familie. Erwachsene werden dort andere Dinge entdecken. Es ist als Mittel der Weitergabe wichtig, da die Weitergabe durch Diskussionen zwischen den Generationen erfolgt. Wir haben viele Rückmeldungen in dieser Richtung. Manchmal bekommen wir auch Post von sehr alten LeserInnen.

Heiko Koch: Im ersten Band wies die Geschichte des jugendlichen Widerstands viel „Naivität“ und die gesamte Geschichte eine „Verspieltheit“ auf. Im zweiten Band werden die drei HeldInnen Zeuge eines Mordes an einen französisch-afrikanischen Soldaten und eine ihrer Aktionen mündet in dem Tod zweier Erwachsener und der Verhaftung des Vaters von Francois. Der Vater wird nach einem Todesurteil erschossen. Die Brutalität und Grausamkeit des Nazi-Regimes schlägt sich so in der Geschichte und sichtbar auf die emotionale Verfasstheit der drei HeldInnen nieder. Krieg, Faschismus und Widerstand erhalten im zweiten Band ein realistisches Gesicht. War dies ein bewusstes Heranführen von Ihnen und Benoît Ers an die harte Realität so geplant?

Vincent Dugomier: Das ist ganz bewusst gemacht und schon seit den ersten Titeln vorhanden. Auf die ersten Aktionen folgen sehr schnell die ersten Repressionen. Vor allem wollten wir nicht glauben machen, dass es am Ende lustig war. Es war ein Spiel, nein, es war ernst und schrecklich. Viele LeserInnen weinten am Ende von Band 2. Es war absolut notwendig, sich den Terror in Erinnerung zu rufen, den der Widerstand bekämpfte. Wir wollen, sicherlich mit Fingerspitzengefühl, die ganze Gewalt des Krieges zeigen. Ehemalige WiderstandskämpferInnen dankten uns für diese Härte, weil sie der Preis für die Freiheit war.

Die Kinder der Résistence – Die beiden Giganten

Heiko Koch: Von welchen Ideen ließen sie sich leiten, um die Gewalt und Grausamkeit des Krieges und des Faschismus Kindern zu vermitteln?

Vincent Dugomier: Wir benutzen oft die Einbildungskraft. Comics sind dafür sehr geeignet, da es dem LeserInnen überlassen ist, sich vorzustellen, was zwischen zwei Bildern passiert. Am Ende von Band 2 sehen wir zum Beispiel die Wand, an der der Vater erschossen wurde. Es ist überflüssig, seinen Körper zu zeigen. Manchmal denken LeserInnen, dass er vielleicht nicht tot sei, da der Körper nicht gezeigt wurde. Aber am Ende des Bandes sehen sie, dass der Vater nicht zurückkommt und sie trauern um diese Person, die sie gerne gerettet gesehen hätten.

Heiko Koch: Wie waren die Reaktionen von jugendlichen LeserInnen auf die dargestellte Gewalt, auf die gezeichneten Gefühle der Angst und Trauer ihrer HeldInnen? Gab es für sie Möglichkeiten die Reaktionen ihrer jungen LeserInnen zu erfahren?

Vincent Dugomier: LeserInnen sagen uns oft was sie fühlen. Viel Traurigkeit am Ende von Band 2 zum Beispiel. Oft erzählen sie uns auch von einem Antriebs-Effekt und dem Wunsch, sich zu engagieren und etwas Positives zu tun. Der Wunsch, mehr über Situationen nachzudenken, die als einfach dargestellt wurden. Eine Empathie für das Schicksal von MigrantInnen, die vor dem Krieg fliehen, … Was auch sehr regelmäßig vorkommt ist, dass sie wirklich Angst um François, Lisa und Eusèbe haben. Viele von ihnen sind davon überzeugt, dass eines der Kinder am Ende der Serie sterben wird. Viele denken auch, dass unsere Charaktere wirklich existierten. Sicher ist, dass alle Situationen, die mit Freiheitsentzug verbunden sind, sie beeindrucken. Willkürliche Verhaftungen wegen bestimmter Überzeugungen oder weil man JüdIn ist oder für jüdisch gehalten wird. Junge Menschen haben einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Sie verstehen die beschriebenen Situationen sehr gut.

Heiko Koch: Wie haben sie versucht mit den vielleicht entstehenden Ängsten bei jugendlichen LeserInnen umzugehen?

Vincent Dugomier: Wir wollen über alles reden, aber wir wollen nicht alles zeigen. Das ist ein Frage der Abstufung, des Taktes. Der Diskussion zwischen Benoît und mir. Ein gutes Beispiel ist die Wahl der Ikonographie, um im Band 4 über den Holocaust durch Erschießungen zu sprechen. Die Fotos sind alle für einen jungen LeserInnen unerträglich. Also wählte ich ein Foto von JüdInnen, die sich ausziehen, bevor sie erschossen werden. Die Gewalt ist weniger direkt als auf einem Foto eines Massengrabes. Aber die Suggestion ist sehr stark und kann sehr starke Empathie auslösen.

Heiko Koch: Man hat das Gefühl sie lassen die Kinder – nicht nur zeichnerisch – von Band zu Band zu jungen Erwachsenen heranwachsen. Sozusagen in ihrer Verantwortung und im antifaschistischen Widerstand reifen. Kann man das so sagen?

Vincent Dugomier: Das ist ganz richtig. Außerdem zeigen wir, dass sie neue Kleider benötigen, weil sie erwachsen werden und es an allem mangelt. So können wir zwei Themen verbinden, was wir gerne tun. Wir sprechen über ihr jugendliches Erwachen und ihr Verlangen nach Liebe. Natürlich öffnet sich auch ihr politisches Bewusstsein immer mehr. Und über ein politisches Bewusstsein hinaus entwickeln sie ein humanistisches, universelles Gewissen. Schließlich verlassen sie in einem Band eindeutig ihre “gestohlene” Kindheit, um in die Pubertät einzutreten. Aber sie wollen ihr Leben trotz des Getöses der Auseinandersetzungen leben und zwei von ihnen verlieben sich ineinander.

Heiko Koch: Viele der gezeigten Widerstandsaktionen in den ersten beiden Bänden scheinen die ersten Widerstandsaktionen der Resistance in Gänze widerzuspiegeln. Geht es hier um eine Analogie?

Vincent Dugomier: Wir haben in der Tat mit großer Genauigkeit die Entstehung und die fortschreitende Etablierung des Widerstands geschildert. Diesen gab es vor dem Krieg nicht. Er entsteht live. Es ist eine beeindruckende Bürgerbewegung, die spontan und an verschiedenen Orten gegründet wird, um sich allmählich zu sammeln, zu organisieren, und die dann sehr effektiv wird. Es schien mir wesentlich zu erklären, warum/gegen was man sich wehrt, und nicht, wie man sich wehrt. Es war also unbedingt notwendig, am Anfang zu beginnen. Es ist eine echte Herausforderung, was die unterhaltsamen Aspekte einer Geschichte angeht. Denn am Anfang gibt es nichts, kein Material und es passiert nicht viel Sichtbares. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum die meisten Berichte über den Widerstand die Anfänge ignorieren und direkt zu 1942/1943 springen, als der Widerstand sehr aktiv wird. Es war eine echte Herausforderung, eine Zeit des Widerstands zu erzählen, in der es wenig zu sehen gibt. Aber es war auch ein wahres Eldorado, weil wenig darüber geschrieben wurde. Für einen Geschichtenerzähler ist es immer spannend, eine Schublade zu entdecken, die wenig offensteht und daraus dann etwas zu machen.

Heiko Koch: Gab es derart junge Menschen im antifaschistischen Widerstand?

Vincent Dugomier: Es gab viele Kinder, die ihre Eltern im Widerstand unterstützten. Sie haben Nachrichten überbracht, spionierten, … Andererseits war das Durchschnittsalter auf der Ebene des Widerstands in der Maquis sehr niedrig. Ich traf einen ehemaligen Maquisard, der 1942 im Alter von 16 Jahren in den Untergrund ging.

Heiko Koch: Die Widerstandshandlungen der Kinder entwickeln sich im historischen Kontext der Besatzungsgeschichte. Ein Kontext, der über Zeitungsartikel, Radiosendungen oder Erzählungen kurz in die Geschichte eingeflochten wird. Erklärt werden diese historischen Bezüge in einem knappen und informativen Dossier im Anhang jeden Bandes. Haben Sie selbst diese Dossiers erarbeitet? Welche Schwierigkeiten der Reduktion und Auslassungen ergaben sich dabei?

Vincent Dugomier: Ich wollte diese Dossiers haben, um die Comicseiten etwas leichter zu gestalten. Ich wollte, dass es auch ein Unterhaltungscomic bleibt. Zu wissen, dass ich ein Dossier zur Verfügung haben würde und dass ich es selbst schreiben würde, war eine große Hilfe. Ich konnte meine Informationen besser abgleichen. Ich habe darauf bestanden, diese Dossiers selbst zu erstellen. Seitdem haben viele Historiker unsere Arbeit entdeckt und es scheint keine größeren Fehler zu geben. Dazu muss gesagt werden, dass ich mich sehr gründlich mit den Dokumenten beschäftige und mir die nötige Zeit nehme. Ich muss natürlich etwas reduzieren, aber nicht so sehr. Ich halte mich nicht mit der Darstellung der Veränderungen einer Schlachtordnung auf, ich muss nicht ins Detail gehen, was wirklich im Einsatzgebiet passiert. Dasselbe gilt für die Bewaffnung. Wir beschäftigen uns mit ihr, um sie zu zeichnen, aber am Ende reden wir nicht darüber. Die eigentliche Schwierigkeit besteht darin, die Dinge heute zu erklären und dabei die Chronologie der Zeit zu respektieren. Zum Beispiel über Rassismus in einer Zeit zu sprechen, als man noch an das Konzept der Rassen glaubte (man spricht sogar noch von „Rasse“ in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte). Ich denke da an diese Diskussion über Rassismus zwischen einem Nazi-Offizier und einem Notar in Band 4. Ich muss also darüber sprechen, welches Verhängnis dieses Konzept hervorgebracht hat. Das Dossier ermöglicht es mir dann, Dinge neu in die Balance zu bringen, was so in einem Comic nicht möglich ist > Die Wissenschaft konnte zeigen, dass wir nur ein und dieselbe Spezies sind, Homo Sapiens, und dass es keine Rassen gibt.

Die Kinder der Résistence – Die Eskalation

Heiko Koch: Mit welchen Hürden und Schwierigkeit hatten sie zu kämpfen, um politische und soziale Komplexität jugendgerecht zu erzählen? So z.B. die unterschiedlichen politischen System der Alliierten USA und Russland.

Vincent Dugomier: Ich musste viel tricksen, um das erklären zu können. Aber wir haben „Werkzeuge“ in unseren Comics. Der Lehrervater, der alles weiß. Lisa, Tochter deutscher Nazi-Gegner, die eine andere Sichtweise einbringt. In Band 3 dreht sich alles um das Erbe eines Bauernhofs und der dient eigentlich als Beispiel zu zeigen, wie schwierig es ist, eine gerechte Welt zu schaffen.

Heiko Koch: Ihre Geschichte beschränkt sich nicht nur auf den Widerstand, sondern stellt auch das bäuerliche Leben auf dem Dorf vor über 80zig Jahren dar. So wurde z.B. der Hof dem älteren Sohn vererbt. Der Jüngere darf, wenn überhaupt, studieren. Für Mädchen war so gut wie keine Schulbildung vorgesehen. Wie sind sie vorgegangen, um diesen Teil der französischen Alltagskultur zu erforschen?

Vincent Dugomier: Wie schon gesagt, in dem Benoît und ich recherchierten. Wir besuchten viele Museen über das Landleben im 19. und 20. Jahrhundert. Solche gibt es in jedem Departement in Frankreich. Das tägliche Leben ist in der Tat ein sehr wichtiges Element in unseren Comics. Es lag uns sehr daran davon zu erzählen, vor allem in einer ländlichen Umgebung, die sich dann nach dem Krieg sehr stark und schnell verändern wird zum Teil wegen des Marschall-Plans und der Ankunft chemischer Produkte in der Landwirtschaft. Das Leben auf dem Land wird da für immer durcheinander gebracht. Dies ist natürlich nur ein Nebenthema in unseren Comics, das uns aber enorm interessiert.

Heiko Koch: Die Comic-Serie erfreut sich eines großen Erfolges. Sie hat viele Auszeichnungen bekommen und fast 1 Millionen Exemplare wurden verkauft.
Wie erklären Sie sich diesen Erfolg angesichts des schwierigen Themas? Hat dies mit der allgemeinen politischen Situation in Frankreich und dem Erstarken der Rechten zu tun?

Vincent Dugomier: Politische Bedenken, Umschreibungen der Geschichte und Orientierungsverlust spielen zweifellos eine Rolle. Wir profitierten auch von einem Zufall, denn dieses Thema kam wieder in die Lehrpläne der Schulen. Zweifellos hatten wir auch unbewusst das Gefühl, dass es an der Zeit war, diesen Comic zu machen. Man weiß nie, was zu einem Erfolg führt, und das ist auch gut so. Wenn man da berechnend dran geht, wird es immer scheitern. Wir sind unserem Herzen gefolgt, unserem Gefühl. Wir hatten einfach eine große Lust, diesen Comic zu machen und ihn so gut wie möglich zu machen. Vor allem sind wir den dunkelsten Dingen nicht ausgewichen. Wir halten unsere jungen LeserInnen niemals für dumm.

Heiko Koch: Bei welchen Altersgruppen kommt der Comic am Besten an? Welche Resonanzen gibt es?

Vincent Dugomier: Der Satz, der immer wieder zurückkommt, ist dieser: „Und ich, was hätte ich getan?“ Das ist natürlich eine Frage ohne definitive Antwort. Kinder stellen viele Verbindungen zu Dingen in der heutigen Welt her. Am deutlichsten ist das bei der Situation von Flüchtlingen, aber auch bei Situationen des Macht- oder Autoritätsmissbrauchs. Und natürlich Fake News, da der Informationskrieg zwischen Besatzern und WiderstandskämpferInnen tobte und wir viele Plakate aus der Zeit verwenden. Der Aufstieg des Extremismus spricht LeserInnen an, die schon etwas älter sind. Wir haben wirklich Feedback von LeserInnen jeden Alters. Besonders eine sehr alte Dame, die mir jedes Mal, wenn ein neuer Band erscheint, eine nette Nachricht schickt. Sie war ein Kind während der Ardennenoffensive. Sie schickte mir eine Kopie des Kriegstagebuchs, das ihre Mutter damals führte. Diese Art des Austauschs ist sehr bereichernd und sehr bewegend und hilft uns immer, direkt oder indirekt. Oft wollen uns LeserInnen auch eine Familiengeschichte schicken um uns zu helfen. So haben wir Kinder von WiderstandskämpferInnen getroffen, aber auch von KollaborateurInnen, zwangsrekrutierten Elsässern, oder Kindern aus einer Verbindung zwischen einer Französin und einem deutschen Soldaten, …. Es ist oft sehr bewegend. Sie sehen, die Reaktionen sind zahlreich und es ist das große Geschenk dieses Comics, dank dessen wir so viele Menschen treffen können.

Heiko Koch: Es wurde von der Historikerin Manon Pignot geäußert, das gerade das Medium Comic und der Entwurf eines fiktiven Dorfes so viel Raum für Imagination lässt. Einen Freiraum für Imagination, der gleichzeitig auf historische Detailtreue und Präzision stößt und dadurch einen spannungsgeladenen, kreativen Raum für die jugendlichen LeserInnen erschafft. Was sagen Sie dazu?

Vincent Dugomier: Ich danke ihr, dass sie so gut gesehen und gesagt hat, was wir versucht haben zu tun. Wir wollten keinen realen Ort, um durch eine strenge Dokumentation begrenzt zu werden. Wir haben unser Dorf ausgedacht. Wir wollten es nicht in der Normandie ansiedeln, weil das zu klassisch gewesen wäre. Wir wollten es im Osten. Nicht zu weit von der Demarkationslinie entfernt. Es benötigte ein paar strategische Punkte wie eine Schleuse, eine Eisenbahnbrücke. Wir wussten, dass all dies nach und nach noch von Bedeutung werden würde. Benoît Ers sagt oft über unsere Comics, dass alles gefälscht, aber alles wahr ist!

Heiko Koch: Liegt der Erfolg der Geschichte auch an dem Fakt, dass aus den Augen François die Geschichte erzählt wird? Das Kinder und Jugendliche in seine Rolle schlüpfen und alles was er erlebt miterleben können?

Vincent Dugomier: Es gibt sicherlich ein Phänomen der Identifikation und Empathie, das da existiert. Ich denke auch, dass wir über kleine WiderstandskämpferInnen sprechen. Aus dem Schatten des Schattens. Und dass sie sich darin leichter wiedererkennen als in einem statuenhaften „großen Widerstandskämpfer“. Implizit gibt es auch die ganze Problematik der Anerkennung oder Nichtanerkennung kleiner Taten, die auch Leid und Groll in Familien verursachen. Davon wird uns oft erzählt. In gewisser Weise können sich alle kleinen Hände eines Tages in Les Enfants de la Résistance wiederfinden.

Heiko Koch: Ende 2020 erschien der erste Band im Wiener Bahoe Verlag in deutscher Sprache und wurde somit im deutschsprachigen Raum bekannt. In welchen Sprachen wurde der Comic noch übersetzt? Und welche Resonanzen gibt es aus diesen Ländern?

Vincent Dugomier: Sie werden auch ins Niederländische, Katalanische und Kastilische, Englisch (nur online) übersetzt und eine norwegische Version ist in Vorbereitung. Leider haben wir noch sehr wenig direktes Feedback. Unsere Comics sind sehr Frankreich-zentriert und jedes Land hat den 2. Weltkrieg anders erlebt. Dennoch glaube ich, dass die Werte der Erzählung universell sind.

Heiko Koch: Über die Internet-Site des Lombard-Verlags ist zu erfahren, dass der Verlag ein großes Repertoire an pädagogischen Material bereithält. Darunter: Vorlagen zum Ausmalen, Ausstellungsstellwände, Podcasts mit Fragebögen, Fragebögen zur generellen Geschichte, ein Erinnerungs-Spiel, ein Escape Game, sowie einen Kalender. Wer nutzt diese Materialien? Und wie werden sie eingesetzt?

Vincent Dugomier: Sie werden von Schulen und Buchmessen genutzt. Aber auch in Familien. Wir hatten diesen Comic als Erinnerungsarbeit entworfen, aber sehr schnell wurde er auch als Material für Schulen verwendet. In unseren Alben existieren Geschichte und staatsbürgerliches Engagement nebeneinander, was für Schulen von großem Interesse ist. Daran hatten wir bei der Erstellung dieses Comics nicht gedacht, aber das gefällt uns sehr gut. Die Botschaft kommt so bei der jüngeren Generationen an, das ist sehr positiv.

Heiko Koch: Sie und Benoît Ers sind sicherlich auf Buchpräsentationen und -messen mit dem Comic vertreten. Suchen Sie auch Schulklassen und Jugendeinrichtungen auf? Und wenn, was erleben Sie dort mit ihren LeserInnen?

Vincent Dugomier: Zu unserer großen Überraschung interessieren sich die Kinder sehr für diese Zeit. Wir glauben, dass es der menschliche Aspekt ist, der sie am meisten anspricht. Wir haben darauf geachtet, nicht mehr Nazi-Symbole als nötig zu zeigen, weil wir wissen, dass das eine Faszination ausübt. Auf diese Mühle wollen wir auf keinen Fall Wasser gießen. In Belgien und Frankreich erscheinen viele Bücher mit Hakenkreuzen auf dem Cover. Das wollten wir absolut nicht. Man prangert den Nazismus nicht an, indem man mit seinen Bildern wirbt. Der Austausch und die Fragen und Antworten mit den Jugendlichen könnten Stunden dauern. Sie haben endlose Fragen. Bei Autogrammstunden sehen wir genauso viele Mädchen wie Jungen. Wir haben darauf geachtet, keine stereotype Jungs-Kriegsgeschichte zu machen. Wir wollten, dass sich alle in unseren Alben wiederfinden, Jungen und Mädchen. Klar ist, dass die Lieblingsfigur kleiner französischer Mädchen und Jungen Lisa ist, die kleine Deutsche. Ich denke, es ist eine schöne Symbolik für eine Serie, die den französischen Widerstand erzählt. Ich sehe darin den Hinweis auf die Universalität, die wir versucht haben, in unsere Alben zu bringen. Ich sehe es auch als ein Verständnis dafür, was wir mit unserer Arbeit wollen: Wir kämpfen gegen eine Ideologie, nicht gegen ein Volk.

Heiko Koch: Zum Abschluss habe ich noch eine Frage, die mich beschäftigt. Sie und Benoît Ers stammen aus Belgien. Warum thematisierten sie die Besetzung und den Widerstand in Frankreich und nicht in Belgien?

Vincent Dugomier: Die Antwort ist vielfältig. Wir wollten die Geschichte der Geburt des Widerstands erzählen. Das Bewusstsein, das für seine Entstehung notwendig ist. Der Funke, der die Bewegung hervorbringt. Deutlicher war dies in Frankreich, weil Belgien, ein bereits 1914-18 vollständig besetztes Gebiet, schon eine Vergangenheit mit dem Widerstand hatte, der sich gewissermaßen reaktiviert. In Frankreich wird er erst geformt. Schließlich ist die Geschichte des Zweiten Weltkriegs in Frankreich vielfältiger als in Belgien. Das Territorium selbst ist sehr unterschiedlich und bietet mehr Möglichkeiten, Widerstand zu leisten. Es gibt auch den ganz besonderen Fall der Zusammenarbeit auf höchster Ebene mit Pétain, ein einzigartiger Fall in Europa. In Belgien spielt Kollaboration natürlich auch eine Rolle, aber das Land wird von einem deutschen Offizier verwaltet.

Heiko Koch: Vielen Dank für das Interview.

Vincent Dugomier: Ich danke Ihnen, dass Sie mir das Wort erteilt haben.

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